Ende dieses Seitenbereichs.

Beginn des Seitenbereichs: Inhalt:

Das Verhältnis des Anschauungsmannigfaltigen zu den Kategorien in der transzendentalen Deduktion

Im Diskurs über eine (nicht-)konzeptualistische Auffassung der Erkenntnistheorie wird die Kohärenz der Kritik der reinen Vernunft hinterfragt. Beide Positionen deuten auf eine Inkompatibilität zwischen der dem Verstand verliehenen epistemischen Funktion in der Transzendentalen Deduktion und der in der Transzendentalen Ästhetik dargestellten Isolierbarkeit und Irreduzibilität der Sinnlichkeit hin.
    Auf der Seite des Nicht-Konzeptualismus werden die Ergebnisse der Transzendentalen Ästhetik in Vordergrund gestellt und die B-Auflage des Deduktionskapitels als unschlüssig bewertet1. Diese Position wird exemplarisch von Hanna vertreten, der zum Schluss kommt, dass die Kategorien weder ihre Funktion als Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung noch als Bedingung der Erfahrungsgegenstände erfüllen2.
     Auf der Seite des Konzeptualismus werden die Thesen der Transzendentale Ästhetik meistens als vorläufig interpretiert: Nach Gingsborg3 und Longuenesse4 wird aus didaktischen Gründen erstmals von der Verstandestätigkeit abstrahiert, obwohl sich im Deduktionskapitel ergeben wird, dass sie zur Bildung der Anschauung beiträgt.
     Ausgehend vom Principle of Charity, wird in diesem Vortrag versucht, die transzendentale Funktion des Verstandes aufzuzeigen, ohne die ontologische und epistemische Unabhängigkeit der Anschauungen zu widersprechen. In diesem Sinne werden die §15-16 der Transzendentalen Deduktion (B129-136) untersucht, in dem der Zusammenhang zwischen dem Mannigfaltigen und dessen synthetische Verbindung behandelt wird.

    Im ersten Schritt wird die Argumentation der Textpassage wie folgend rekonstruiert:
    §15 These1: Die Vorstellung der Synthesis qua Verbindung des gegebenen Mannigfaltigen entspricht einem Akt der Spontaneität des Verstandes in Form eines Urteils.// These2: Der Verbindungsakt setzt die synthetische Einheit des Mannigfaltigen voraus, verstanden als die transzendentale Einheit, die aus der Verbindung eines Mannigfaltigen überhaupt hervorgebracht wird. //⇒Teilkonklusion: Die synthetische Einheit des Mannigfaltigen ist nur unter der Bedingung denkbar, dass Mannigfaltiges gegeben werden kann.
    §16 These3: Die Synthesis des Mannigfaltigen setzt die Möglichkeit dessen Selbstzuschreibung durch das Subjekt voraus. Eine Vorstellung wird als die eigene betrachtet, wenn sie von der reinen Apperzeption begleitet werden kann.// These4: Die Möglichkeit der Selbstzuschreibung einer Vorstellung steht unter der Bedingung, dass sich das Subjekt seiner Identität bewusst ist.// These5: Die von der reinen Apperzeption begleiteten Anschauungen werden in der transzendentale Einheit des Selbstbewusstseins gedacht, in der das Selbstbewusstsein als deren gemeinsames Merkmal durch Analysis abstrahiert werden kann.// These6: Die Bedingung der Möglichkeit der Selbstzuschreibung eines Mannigfaltigen besteht in dessen Verbindung zur synthetischen Einheit des Mannigfaltigen. Damit wird es als synthetische Einheit des Selbstbewusstseins und als Bestimmung eines möglichen Gegenstandes gedacht. //⇒Konklusion: Die synthetische Einheit des Selbstbewusstseins ist die Bedingung der Möglichkeit der Selbstzuschreibung gegebener Vorstellungen sowie des Identitätsselbstbewusstseins.

    Darauf basierend wird im zweiten Teil des Vortrages dafür argumentiert, dass die ontologische Unabhängigkeit der Anschauungen nicht in Frage gestellt wird. Im §15 ist unter Synthesis die Vorstellung eines Urteils zu verstehen, durch welche zwei Begriffe oder eine Anschauung und ein Begriff vereinigt werden (These1). Die kategoriale Verbindung zum Zweck der Erkenntnis unterscheidet sich daher von der räum-zeitlichen Anordnung des Mannigfaltigen in einer Anschauung. Auch die These im §16, die spontan hervorgebrachte reine Apperzeption müsse alle Vorstellungen begleiten können, bezieht sich nicht auf die Existenz der Anschauungen im Gemüt, sondern auf die Möglichkeit sich deren bewusst zu werden (These3).
    Der epistemischen Unabhängigkeit der Anschauungen wird auch nicht widersprochen, sie wird sogar im §15 betont: Während das Mannigfaltige a priori oder a posteriori gegeben wird, wird die kategorialen Verbindung spontan hervorgebracht (These1). Es muss allerdings dem Konzeptualismus zugestimmt werden, dass die epistemische Relevanz der Anschauungen von der Verstandestätigkeit abhängt, obwohl die Anschauungen eine wesensspezifische, nicht vom Verstand ausführbare Funktion erfüllen. Das Mannigfaltige kann den zu erkennenden Stoff, der durch die Kategorien als Bestimmung eines möglichen Gegenstandes gedacht wird, nur unter der Bedingung ihrer Denkbarkeit in der transzendentalen Einheit des Selbstbewusstseins (These5-These6) bilden.

    Im Fazit werden die Schlussfolgerungen auf Kants These "Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind" (KrV, B75) bezogen, um das wechselseitige Verhältnisder zwei Grundvermögen zusammenzufassen.

________________
1 Demnach wird im Nicht-Konzeptualismus ersatzweise Bezug auf die A-Auflage des Deduktionskapitels genommen, in der die sinnliche Einbildungskraft eine umfassendere epistemische Funktion aufweist.
2 Vgl. Hanna, Robert: Kant's Non-Conceptualism, Rogue Objects, and the Gap in the B-Deduction, in: International Journal of Philosophical Studies 19 (2011), S. 407.
3 Vgl. Ginsborg, Hannah: Was Kant a nonconceptualist?, in: Philosophical Studies 137 (2008), S. 75.
4 Vgl. Longuenesse, Béatrice: Kant and the Capacity to Judge, Princeton 1998, S. 213.

Kontakt: Sekretariat

Fachoberinspektorin

Ingeborg Röllig

Institut für Philosophie

Heinrichstraße 33/EG, 8010 Graz

Telefon:+43 316 380 - 2295

Parteienverkehr:
Mo - Fr 9.00-12.00 Uhr

Ende dieses Seitenbereichs.

Beginn des Seitenbereichs: Zusatzinformationen:

Ende dieses Seitenbereichs.